Mittwoch, 22. August 2012
2012 - ein Jahr der Umbrüche?
Nach 19 Jahren Pflege meines Kindes würde ich gerne zurück an den Arbeitsmarkt gehen. Doch wie kann das gehen mit einem schwer-behinderten Kind, das keine 5 Min. alleine bleiben kann? Einem bald 19-Jährigen, der von der Betreuung her so intensiv ist wie ein Kleinkind?

Eine gute Frage. Problematisch ist nicht nur die Arbeitszeit - die Schule deckt folgendes Zeitfenster ab:
Mo, Di, Do 7.30 Uhr (Abfahrt Bus) bis 15.45 Uhr (Ankunft Bus), Mi und Fr 7.30 Uhr bis 13.30 Uhr.

Ein viel größeres Problem stellen die Schulferien dar - sage und schreibe 14 Wochen! Abgesehen von diversen Sonder-Schliess-Tagen der Sehbehinderten Schule, die noch hinzu kommen.

Das alles muss ja neben der normalen, dann zu leistenden Arbeit und einem Haushalt so nebenbei organisiert werden! Und zwar von einer Frau in der Mitte des Lebens, die zwar immer noch viel Power hat, aber eben nicht mehr die einer 25-Jährigen.

Schon seit über einem Jahr überlege ich, wie ich Beruf und behindertes Kind unter einen Hut bringen sollte/könnte. Bis heute habe ich keine befriedigende Lösung für mich und Julian gefunden.

Das einzige, was für mich einigermassen Erleichterung bringen würde, wäre eine Internats-Beschulung. Doch auch die bringt nicht nur Vorteile - abgesehen davon, dass die Ferien-Geschichte ungelöst bleibt.

Denn mit Internats-Beschulung bräche ein ganz neues Zeitalter an: Sozial- und Jugendamt wollen nicht nur - verständlicher weise - einen Teil der Pflegeleistung und einen monatlichen Eigen-Anteil - nein, auch anteiliges Kindergeld möchte man von der Kinder-Geld-Kasse. Es gilt mittels Belegen nachzuweisen, welche Kosten für Julian entstehen. Muss der Kassenzettel für jedes Paar Schuhe, jeden Kino- oder Schwimmbad-Besuch zukünftig gesammelt werden? Wer bezahlt mir eigentlich diesen Aufwand? Es ist kein unerheblicher, kann ich nur sagen. Allein wegen Wechsels des Windel-Anbieters war ich sage und schreibe 3 Monate beschäftigt, bis das wieder seinen normalen Gang genommen hat.

Übrigens, ich habe in einem Journal gelesen, man bekomme ab 2013 für gesunde Kinder unabhängig von deren Ausbildungsvergütung! volles Kindergeld bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres?

Das Gespräch mit einem Vater letztes Jahr, dessen behinderte Tochter mangels Wohnort-naher-Schule ein Internat schon lange besucht, erzählte mir, er habe mit Volljährigkeit seiner Tochter einen neuen Ordner angelegt. Er habe auch kürzlich den Kauf von ein Paar Schwimmärmeln für ein paar Euro abgerechnet. Er sei normaler weise überhaupt nicht so, aber inzwischen ginge es auch ihm ums Prinzip. Deutschland, du hast ganz tolle Gesetzte! Das damalige Gespräch hat heute auch eine andere Dimension für mich.

Ich merke, dass ich immer noch nicht 100 % hinter dieser Internats-Lösung stehe. Das innere Bild dazu ist alles andre als stimmig!

Die nächsten Wochen müssen/werden Klarheit bringen.

Frappierend finde ich auch, dass ich, obwohl ich 19 Jahre lang ein schwer-behindertes Kind gewaschen, gefüttert, gewindelt, beschäftigt, gefördert, etc. etc. habe, nicht als Fachkraft in der Pflege arbeiten könnte - obwohl hier Arbeitskräfte gesucht werden.

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Julian berührt die Herzen
Es rührt mich immer wieder, wie sehr Julian die Herzen der Menschen berührt.

Seine letzte FSJ´lerin jobbt zum Glück bei der Lebenshilfe und freut sich einmal im Monat auf Julian. Nun hat die FSJ´lerin aus dem letzten Schuljahr per email geschrieben, dass das Jahr viel zu schnell vorbei gegangen ist.

Aber auch im Alltag begegne ich immer wieder Menschen, die an seinem Schicksal Anteil nehmen. , Das ist schön, denn leider erlebe ich auch viel Gleichgültigkeit, Rücksichtlosigkeit ober Oberflächlichkeit in unserer Gesellschaft.

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Rückblick 1. Jahr Berufsschulstufe 2011/2012
Im September 2011 wechselte Julian in die Berufsschulstufe. Hier sah er sich ganz neuen Anforderungen gegenüber. Auf einmal wurde einiges an Selbstständigkeit von ihm verlangt - das war er seitens der Schule in diesem Umfang nicht gewohnt. Es brauchte deshalb auch 3 Monate, bis er sich an diese Situation gewöhnt hatte. Eine nicht ganz einfache Zeit für seine Mama, die hier immer viel abfangen muss.

Im Januar 2012 war er jedoch "angekommen". Ganz entscheidend ist für mich die gute Kommunikation mit Julian´s Lehrerin, die hier eine ähnliche Einschätzung bewies wie ich. Wir haben Probleme offen angesprochen ohne gegenseitiges Kompetenz-Gerangel oder Vorwürfe. Dadurch war eine gute Zusammenarbeit überhaupt erst möglich.
Beide trafen wir den richtigen Ton beim anderen, auch, wenn die Situationen mit Julian evtl. mal schwierig waren.

Im Laufe des Jahres 2012 zeigte sich, dass in Julian doch noch einiges steckt - wie ich ja schon lange glaube. Er bekam in der Berufsschulstufe neue Aufgaben gestellt, denn mein geäussertes Ziel stundenweise "Arbeit in einer Behinderten-Werkstatt" wurde nicht nur gehört, sondern in die Tat umgesetzt.

Julian bediente z.b. eine ganze Weile eine Stanz-Maschine, mit tatkräftiger Unterstützung einer/s Erwachsenen, meist der FSJ´lerin. Es wurden Lederstückchen in verschiedenen Farben ausgestanzt, die zu einem Schlüssel-Anhänger aufgefädelt wurden. Er entwickelte hierbei eine von ihm eher ungekannte Ausdauer.
Diese zeigte er auch bei Sortier- und Schraub-/Steck-Aufgaben. Hierfür wurden auch extra für ihn Arbeitsmaterial angefertigt. Ich habe die Bilder leider nur in Papier-Form.

Ich arbeitete auch 2012 immer noch an seiner sprachlichen Ausdrucksfähigkeit. Ich erreiche ihn heute sprachlich ganz anders.
Es zeigte sich im Laufe des Schuljahres, dass er auch hier Kompetenzen hat (im Zeugnis stand, er machte immer wieder passende Bemerkungen zum Thema) und mehr und mehr erwirbt. Leider werden Menschen, die nicht ausreichend kommunizieren, immer wieder unterschätzt im Bezug auf ihre geistigen Fähigkeiten. Ich bin der Meinung, bei Julian ist das auch bis heute so.

Ich kann nur sagen, im letzten Schuljahr ist so manches im positiven Sinne passiert!

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