Freitag, 26. November 2010
Rückblick 2 - die ersten Jahre bis zum Kindergarten-Besuch
Da unser Julian nicht unser erstes Kind war, er hat nämlich einen 4 Jahre älteren Bruder, haben wir ihn möglichst so wie ein normales Baby behandelt. Abgesehen davon haben wir sehr viel mit ihm gesprochen, gesungen, ihm Gegenstände in die Hand gegeben, Körperspiele mit ihm gespielt.

Manche Entwicklungsschritte kamen nur langsam, andere wiederum ganz normal. So konnte Julian mit etwas mehr als einem Jahr sitzen, aber er krabbelt nicht und versuchte auch nicht, aufzustehen. Deshalb haben wir ihn mit 2 Jahren immer wieder auf die Füße gestellt und ihn natürlich gestützt. Irgendwann lernte er so, zu stehen, in dem er sich irgendwo festhielt, z.b. am Gitterbett. Das Greifen lernte er relativ unproblematisch. Lange Zeit hat er Gegenstände geworfen. Das machte uns irgendwie Kopfzerbrechen, denn es war ihm eine große Freude, Bauklötze durchs Zimmer zu werfen, anstatt sie zu stapeln. Also mußten wir aufpaßen, was wir ihm gaben. Erst Frau Schnurnberger konnte uns beruhigen. Sie berichtete von einer ähnliche Erfahrung von einem anderen blinden Kind, das sie therapiert hatte, und sagte, dieses Kind habe aufgehört zu werfen, in dem Augenblick, als es selber die Räume erkunden konnte. Durch das Werfen bekäme Julian Informationen sowohl über den Raum als auch den geworfenen Gegenstand.
So war es dann auch, als Julian mit vier Jahren endlich lernte, frei zu laufen, hörte auch das Werfen auf.
Julian hat also deutlich später laufen gelernt als sehende Kinder, aber er hat es gelernt, und das ist die Hauptsache.

Julian bevorzugte Spielsachen, die Geräusche machten, die hart und fest waren. Spezialspielzeug ist in diesem Alter für ein blindes Kind nicht erforderlich. Kuscheltiere lehnte er komplett ab. Schon dort zeigte sich sein großes Interesse für Rhythmus, Musik und Klang.

Sehr anstrengend waren die Nächte. Julian hatte einen verdrehten Tag- und Nachtrhythmus. Er hat sozusagen von 24.00 Uhr bis 12.00 Uhr seinen Tag gehabt und den Rest verschlafen. Das entsprach nicht ganz unserem Rhythmus. Zum Glück hatte er damals ein eigenes Kinderzimmer.
Wir fragten die Fachleute um Rat, Kinderarzt, Frühförderer, die wenigen Ratschläge, die kamen, wie Aufwach- und Einschlaflied, bestimmte Dinge zu bestimmten Uhrzeiten tun,
fruchteten nicht.
Der durchschlagende Tip kam wie so oft aus dem Bekanntenkreis. Eine nette Bekannte vom Spielplatz, MTA von Beruf, fand im Internet Melatonin. Melatonin ist ein Hormon, das unser Körper selber herstellt. Dieses Hormon ist dafür verantwortlich, daß wir abens müde werden, die Bildung hängt mit der Netzhaut und dem Tageslicht zusammen. Wenn es dunkel wird, dann wird in der Netzhaut Melatonin gebildet, das Hormon kommt zum Gehirn und wir werden müde. Da Julian keine Netzhaut hat, funktioniet diese natürliche Regelung bei ihm nicht. Viele Blinde haben Probleme mit dem Tag-/Nachtrhythmus.
In den USA gilt Melatonin als ein Jungbrunnen und kann in jedem Drugstore erworben werden. Hier in D. ist es ein Nahrungsergänzungsmittel und muß über die Auslandsapotheke für teueres Geld bezogen werden. Die Kosten muß man selber tragen. Es gibt leider keine Studien dazu, da es kein Medikament ist. Melatonin wird logischer weise abends vor dem Schlafen gehen gegeben. Da es körpereigen ist, gibt es keinerlei Probleme mit der Verträglichkeit und abhängig kann man auch nicht davon werden, ganz im Gegenteil zu den gängigen Schalfmitteln.
Wir können nur sagen, unsere Nächte sind dadurch viel ruhiger geworden!!!

Mit dem Essen hatte Julian nie Probleme gehabt, er aß immer gut und gerne, auch feste Nahrung. Relativ schnell lernte er selbstständig essen, z.b. Brot oder Kekse halten. Schwierigkeiten hatte er bei weicher Nahrung, so lehnte er sehr lange Joghurt, Quark, Eis, diverses Obst ab. Mit der Zeit verlor sich das aber, heute, mit 14, liebt er Eis und Joghurt.
Trinken aus dem Glas war auch so eine Sache, das hat sehr lange gedauert, er scheute sich, ein Glas überhaupt in die Hand zu nehmen. Lange hatte er einen Kunststoffbecher mit Henkel, den er so gut greifen konnte. Auch heute noch achte ich darauf, daß er Gläser bekommt, die schlank sind, damit er sie gut greifen kann, oder ich nehme Gläser mit Henkel.

Gekrabbelt ist Julian nur kurze Zeit, als er schon laufen konnte. Als Kleinkind ist er rückwärts gerutscht. Logisch, denn sonst hätte ja die Gefahr bestanden, daß er sich den Kopf anschlägt.

Anfangs haben wir ihn mit ganz normalen Windeln gewickelt. Eine Pflegestufe wurde uns erst mit 2 1/2 Jahren zugestanden, und auch nur Pflegestufe eins, obwohl damals die Nächste noch eine Katastrophe waren und Julian offensichtlich nicht auf dem Entwicklungsstand eines gleichaltrigen Kindes.
Erst nachdem die Frau, die die sogenannte Pflegevisite machte, ein Schreiben an die Krankenkasse aufsetzte, weil sie der Meinung war, das Kind sei viel zu niedrig eingestuft, folgte eine Nachbegutachtung und die Einstufung in Pflegestufe zwei. Ich bin der Dame heute noch dankbar.
Erst durch die Pflegestufe bekamen wir auch die Hilfsmittel finanziert, die wir so nach und nach brauchten.

Julian war in den ersten Lebensjahren ein sehr zufriedenes Kind, sogar ein richtiger Sonnenschein. Sein Bruder hatte einen liebevolle und enge Beziehung zu ihm.

Mit 3 Jahren kam Julian in den Kindergarten für Körperbehinderte der Arbeiterwohlfahrt in Freiburg.

Ich hoffe, ich habe nun nichts wichtiges vergessen.
(20 September 2007)